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Gegner-Check Kiel: Keine Chance? Na prima!

Gegner-Check Kiel: Keine Chance? Na prima!


In der aktuellen Form und Gemütslage zum Tabellenführer. Schon klar, gegen Holstein Kiel gibt's nichts zu holen für den 1. FC Kaiserslautern. Oder? Gegen Kellerkinder haben die Störche schon öfter Federn gelassen ...

So lief's seit dem Hinspiel: FCK-Fans erinnern sich mit Grausen an das 0:3 gegen Kiel in der Hinrunde. Eingeleitet hatte es Philipp Klement mit einem haarsträubenden Fehlpass in der 16. Minute, und Trainer Dirk Schuster sollte mit dieser Heimniederlage seinen Ausstand geben. Für die Kieler war es der zweite Sieg in Serie nach einem tollen Saisonstart mit drei Erfolgen in vier Spielen und einer anschließenden kleinen Ergebnisflaute. Bis zum Ende der ersten Halbserie sollten noch drei weitere gewonnene Partien hinzukommen und die Störche als Herbstmeister überwintern lassen. Keine Frage: Die Saison lief prächtig für die Norddeutschen - und der Höhenflug hält bis heute an, auch wenn sich der Start in die Rückrunde mit nur einem Punkt aus drei Spielen zunächst mal holprig gestaltete. Dieser Aufschwung ist umso erstaunlicher, als dass es im vergangenen Sommer zu einem gewaltigen Aderlass gekommen war, mit Abgängen von Kalibern wie Fabian Reese und Hauke Wahl, dem nur mit bescheidenen Investitionen und dem Einbau frischer junger Kräfte wie Colin Kleine-Bekel begegnet wurde. Kurz: Die Kieler sind das Phänomen dieser Zweitliga-Saison. Zuletzt sechs Siege in Folge ohne Gegentor. Am vergangenen Wochenende ein 1:0-Erfolg beim Hamburger SV, der in der Schlussviertelstunde mit nur zehn Mann bestritten werden musste, weil Routinier Lewis Holtby mit Gelb-Rot vom Platz geflogen war. Wenigstens der ist gegen FCK schon mal nicht dabei.

Das hat sich geändert: Das ist ja das Phänomenale, für das Kiel im Grunde schon seit acht Jahren steht: Es ändert sich ständig was, es ändert sich auch viel, und dennoch kommt es nie zu nachhaltigen Einbrüchen. Selbst in der sportlichen Leitung gab es immer wieder Wechsel. Für den Aufstieg 2017 und die anschließende, erfolgreiche erste Zweitliga-Saison hatten Ralf Becker und Markus Anfang als Sportchef und Trainer verantwortlich gezeichnet. Auf Anfang folgte Tim Walter, der sich mit seiner Arbeit für höhere Aufgaben beim HSV empfahl. Nach ihm kam Ole Werner, der heute Bundesligist Bremen coacht. Er wiederum arbeitete mit Sportdirektor Fabian Wohlgemuth zusammen, der jetzt beim VfB Stuttgart unter Vertrag steht. Wohlgemuths Nachfolger in Kiel, Uwe Stöver, engagierte den mittlerweile als Trainer-Toptalent gehandelten Marcel Rapp, der den Klub nun schon etwas mehr als mutmaßlich in die Bundesliga führen wird. Jetzt nimmt auch Stöver Abschied, arbeitet aber bereits Carsten Wehlmann ein, der aus Darmstadt kommt. Trainer Rapps Arbeit zeichnet sich ebenfalls durch häufige Wechsel aus, auch taktisch. Als Grundordnung bevorzugt er aktuell ein 3-4-1-2, doch kann sein Team während des Spiels in alle anderen bekannten Spielformen switchen. Notgedrungen musste Rapp in dieser Saison ebenfalls schon viel ändern. Talent Kleine-Bekel fällt seit Mitte März wegen einer Kreuzbandverletzung aus. Der in jungen Jahren hochgehypte Fiete Arp, der nach einer starken Hinrunde endlich in die Karrierespur gefunden zu haben schien, musste nach einem Sehnenanriss zwei Monate passen und kämpft sich erst langsam wieder zurück. Mittelstürmer Benedikt Pichler plagte sich fast genauso lange wie Arp mit Problemen an der Leiste. Auch Topscorer Steven Skrzybski musste vorübergehend aussetzen, ebenso Kapitän Philipp Sander. In Hamburg verletzte sich Offensivkraft Finn Porath am Oberschenkel und fällt wohl den Rest der Saison aus. Und dennoch flattern die Störche scheinbar unaufhaltsam weiter Richtung Bundesliga.

Gewinner und Verlierer: Gewinner sind in einem Team, das einen solchen Lauf hinlegt, eigentlich alle. Und einige haben bereits begonnen, sich ihre Erfolgsgeschichte versilbern zu lassen. Der Wechsel von Kapitän Sander zu Borussia Mönchengladbach gilt bereits als fix. Die Fohlen sollen aber auch bereits an dem 20-jährigen Nachwuchsstürmer Niklas Niehoff baggern, der noch gar nicht regelmäßig in der Startelf der Profis steht. An U21-Nationalspieler Kleine-Bekel sind ebenfalls Erstligisten dran. Unter vielen weiteren positiven Erscheinungen heraus ragte außerdem der linke Schienenspieler Tom Rothe, der von Borussia Dortmund geliehen ist. In Hamburg zuletzt kam er nur von der Bank, erzielte aber den Siegtreffer. Verlierer? Die Startelf-Einsätze des einst etatmäßigen Mittelfeld-Ankers Marvin Schulz werden zusehends weniger, weil meist Sander und Holtby die hinteren Plätze im Zentrum belegen. Der einstige Stammkeeper Thomas Dähne wird seit schon seit dem 3. Spieltag durchgehend von Timon Weiner ersetzt, der folgerichtig zu Gewinnern gerechnet werden muss. Und der im Sommer aus Osnabrück verpflichtete Aufstiegsheld Chance Simakala kickt bekanntlich nun auf Leihbasis in Kaiserslautern, weil er in Kiel bis zur Winterpause kaum zum Zuge kam. Für ihn besserten die Störche vor Beginn der Rückserie mit dem Schweden Alexander Bernhardsson nach, der zunächst krankheitsbedingt nicht durchstarten konnte, seit nunmehr zwei Monaten aber regelmäßig zur Startelf gehört und bereits drei Treffer erzielte.

Zahlenspiele: 60 Tore haben die Kieler in der laufenden Runde erzielt. Damit ist der Tabellenführer in diesem Ranking nur Viertbester. Allerdings verteilen sich die Buden auf 15 verschiedene Torschützen, was wiederum ein Topwert ist. Der für ein schwer berechenbares Offensivspiel steht. Die treffsichersten Schützen sind Skrzybski (10 Treffer), Pichler (7) und, hört, hört, Innenverteidiger Timo Becker, der schon sechsmal erfolgreich war. Ein Gegenpol zu ihren Gästen aus Pfalz stellen die Kieler nicht nur im echten Tabellenbild dar, sondern auch nach xGoals: Der Computer-Bewertung zufolge hätten sie eigentlich 6,34 Treffer weniger schießen müssen, als tatsächlich auf dem Konto stehen, die Lautrer dagegen hätten demnach mittlerweile 13,31 Buden mehr machen können, der Wert erhöht sich quasi wöchentlich. Bereits neunmal haben die Kieler nach Ecken getroffen, damit sind sie Drittbeste in einem Wettbewerbsvergleich, den, man höre und staune, immer noch der FCK anführt: Zwölf Mal schon hat er nach Ecken getroffen. Ansonsten überzeugen die Gastgeber in allen Laufdisziplinen, sind etwa die zweitbesten Sprinter und die drittbesten in "intensiven Läufen". Die Passquote ist ordentlich, aber gar nicht mal top: 84,1 Prozent bedeuten lediglich Platz 6 im Ligavergleich. Dafür ist die Kieler Abwehr nach erst 34 Treffern die zweitbeste Liga. Kein Wunder nach zuletzt sechs Siegen in Serie ohne Gegentor.

Fazit: Schon klar, die Gurkentruppe, die am vergangenen Samstag nicht einmal das schlechteste Rückrundenteam vor eigenem Publikum zu besiegenvermochte, hat beim Tabellenführer keine Chance. Warum macht sie sich überhaupt auf den Weg in den Norden? Andererseits: In dieser Situation schwarzmalen kann doch jeder. Halten wir mal fest: Hannover, Düsseldorf, Hamburg - gegen Teams aus dem oberen Tabellendrittel ging der FCK zuletzt nicht nur in Führung, sondern sah über weiter Strecken auch wirklich gut aus. Irgendwann müssen Kraft und Konzentration doch mal über 90 Minuten reichen. Und: Kiel trotz seines überragenden Laufs schon sieben Mal verloren, unter anderem gegen Fürth, Braunschweig, Magdeburg und Nürnberg, also nicht gerade gegen Top-Teams. Wichtig wird es sein, im defensiven Mittelfeld eine neue Lösung für den verletzten Julian Niehues zu präsentieren, da mit Skrzybski der torgefährlichste Mann der Gastgeber auf der Zehnerposition spielt, von der aus er sich immer wieder in die Spitze schmuggelt. Filip Kaloc hat zwar die Statur eines Sechsers, verfügt aber nicht über das für die Position notwendige Stellungsspiel, das war zuletzt gegen Wehen Wiesbaden wieder zu sehen. Wie wär's mit Boris Tomiak - und Almamy Touré oder Kevin Kraus auf dessen Platz in der Innenverteidigung? Und von wegen keine Chance: Das ist doch im Grunde genau das, was der FCK jetzt braucht. Gibt's erneut was aufs Dach, ist's keine Überraschung, doch die Schwarzmaler werden sich dennoch dafür feiern, es schon vorher gewusst zu haben. Und wenn wider Erwarten die Sensation gelingt, sind all die Enttäuschungen der vergangenen Wochen auf einen Schlag vergessen und Mannschaft und Anhang so richtig heiß auf die finalen drei Spiele, in denen immer noch neun Punkte geholt werden können. Mit anderen Worten: Dieser anscheinend unmöglich zu schlagende Gegner ist der beste, den die Roten Teufel in dieser Situation vor die Brust bekommen können.

Quelle: Der Betze brennt

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