Neues vom Betzenberg

Gegner-Check Kiel: Die Störche sind auf Höhenflug

Gegner-Check Kiel: Die Störche sind auf Höhenflug


Der 1. FC Kaiserslautern erwartet den Tabellendritten. Das nächste Topspiel auf dem Betze also. Das als solches aber kaum gehypt wird. Was wiederum typisch ist für Holstein Kiel. Denn die Störche fliegen leise, dafür aber umso höher.

Anspruch und Wirklichkeit: In Kaiserslautern denkt man nicht gerade mit Begeisterung an die Spielzeit 2016/17 zurück, in der Uwe Stöver als Sportdirektor fungierte. Immerhin blieb der von ihm zusammengestellte Kader in der Zweiten Liga. Als eine Saison später noch weiter runter ging, war er schon wieder weg. Holstein Kiel managt der nunmehr 56-Jährige seit Oktober 2019, und dort ist man mit seiner Arbeit zufrieden. Insbesondere die Verpflichtung des bis dahin nur als Nachwuchscoach und Assistent in Hoffenheim tätigen Marcel Rapp als Cheftrainer gilt als großer Wurf. Im vergangenen Sommer hatte Stöver den bislang härtesten Personalumbruch seiner Amtszeit zu bewältigen. Insgesamt 16 Profis verließen den Verein, darunter Leistungsträger wie Fabian Reese (Hertha BSC), Hauke Wahl (FC St. Pauli) und Fin Bartels (Karriereende). Stöver investierte nur bescheiden - und viel in Jugend. Kurz darauf verkündete er, dass für ihn selbst nach dieser Saison Schluss sei bei den Störchen. Großer Umbruch und frühe Abschieds-Kommunikation, wie oft stellten diese sich als Vorzeichen eines anschließenden Absturzes heraus. Nicht so in Kiel. Mit der neu formierten, verjüngten Mannschaft läuft es bislang ausgesprochen gut. Stövers Rechnung vor der Saison, "mit neuem Personal, einem neuen Geist und sehr viel Elan die Dinge besser zu machen", scheint aufzugehen. Aktuell Platz 3, zuletzt ein 4:2 gegen den Hamburger SV, das die Norddeutschen selbstredend in einen ganz besonderen emotionalen Ausnahmezustand versetzt hat.

Die Neuen: Merkwürdig, aber auch das gab’s schon öfter - ausgerechnet die vermeintlich größten Transfercoups haben sich bislang noch nicht als solche bestätigt. Der japanische Nationalspieler Shuto Machino legte mit zwei Treffern in den ersten vier Partien zwar gut los, zuletzt aber blieb er in drei von vier Partien auf der Bank. Was jedoch nicht heißt, dass er dort auch auf dem Betzenberg sitzt. Der Schwede Carl Johansson, der eigentlich die Hauke Wahls Nachfolge als Abwehrchef antreten sollte, hat nach Meniskus-Problemen und einer Gelb-Rot-Sperre ebenfalls noch nicht wieder in die Mannschaft gefunden. Dafür behauptet sich der erst 20-jährige Colin Kleine-Bekel, der aus dem eigenen Nachwuchsteam hochgezogen wurde, schon seit Saisonbeginn in der Innenverteidigung. Defensivspieler Marko Ivezic, ein 21-Jähriger, der bereits in Serbiens Nationalelf debütiert hat, verzeichnet neun Startelf-Einsätze. Immer mit dabei war bislang die Dortmunder Leihgabe Tom Rothe, der nur gegen den HSV zuletzt von der Bank kam. Er gilt als Top-Talent auf der linken Seite, hat bereits zwei Treffer und vier Vorlagen auf dem Konto. Zwischen Startelf und Bank pendelt Mittelfeldspieler Nicolai Remberg, den Stöver ablösefrei aus Münster holte. Und als vielseitig verwendbarer Ergänzungsspieler für die Offensive steht Ba-Muaka Simakala bereit, der zuvor in Osnabrück unterwegs war.

Die Formation: Gegen den HSV ließ Rapp eine Viererkette formieren, was vermutlich aber wohl dem Drei-Mann-Sturm der Gäste geschuldet war. Im Fritz-Walter-Stadion wird er wohl zu der von ihm bevorzugten Dreierkette zurückkehren. Der starke Rothe könnte dann als linker Schienenspieler wieder von Beginn an ran, auf der anderen Seite steht der defensivstarke Timo Becker zur Disposition. Der aber auch gemeinsam mit Kleine-Bekel und Marco Komenda die Dreierkette komplettieren könnte. Sofern das nicht Ivezic tut. Man sieht: Marcel Rapp hat sich da einen Kader mit vielen Variationsmöglichkeiten zusammengestellt. Außer Keeper Timon Weiner, der nach dem 3. Spieltag die bisherige Stammkraft Thomas Dähne ablöste, kann da jeder jederzeit in die Gedankenspiele des Trainers miteinbezogen werden. Im zentralen Mittelfeld erlebt der mittlerweile 33-jährige Lewis Holtby seinen zweiten oder dritten Frühling. Ihm zur Seite steht Philipp Sander, der zu Beginn dieser Saison zum Kapitän aufgestiegen ist. Nach hinten absichern könnte der Bundesliga-erfahrene Marvin Schulz. Sofern das nicht Ivezic tut. Ebenso ist Remberg im Mittelfeld eine Option. Oder Finn Porath. Vorne hat Rapp ebenfalls reichlich Auswahl: Ösi Benedikt Pichler hat bereits fünf Mal getroffen und musste sich jüngst für die ÖFB-Auswahl auf Abruf bereithalten. Steven Skrzybski, der Top-Scorer vom Dienst, war bereits viermal erfolgreich. Und in der vergangenen vier Partien durfte sogar das einstige Supertalent Fiete Arp drei Mal schon zum Anpfiff auf dem Platz stehen. Nicht zu vergessen der erst 21-jährige Jonas Sterner, der ebenfalls schon mit zwei Treffern auf sich aufmerksam gemacht hat, aber auch auf der rechten Außenbahn auftauchen könnte. Und Machuto ist auch noch da.

Zahlenspiele: Rückstände sind gegen diesen Gegner tunlichst zu vermeiden. Wenn die Nordlichter in Führung lagen, haben sie bislang viermal gewonnen und einmal Remis gespielt. Andererseits haben sie schon acht Mal zurückgelegen, danach aber dennoch zehn Punkte geholt, ebenfalls Top-Wert. Und mit 13 Zählern in sechs Partien stellen sie das zweitstärkste Auswärtsteam nach Elversberg. Alles Zahlen, die Dirk Schuster und sein Team alarmieren sollten. Noch mehr gefällig? Beim 4:2-Sieg gegen den Hamburger SV sind die Störche 125 Kilometer gestelzt, unglaublich. Im "Kicker" schrieb Marcel Rapp dazu aber nun all jenen was ins Stammbuch, die diesem Wert große Bedeutung beimessen: "Man muss immer die Nettospielzeit beachten. Gegen andere Teams ist es fast unmöglich, einen solchen Wert zu erzielen, weil der Ball nicht so lange im Spiel ist, es mehr Unterbrechungen gibt." Viel wichtiger zur Leistungsbeurteilung wären die Sprints und die intensiven Läufe. Und da überzeugen die Störche ebenso. Im HSV-Spiel haben sie 76 (!) Sprints mehr gezeigt als der Gegner. In den Liga-Rankings halten sie Platz 2 bei den meisten Sprints, Platz 3 bei den meisten intensiven Läufen.

Fazit: Holstein Kiel - das mag nicht so viel Fußball-Glamour ausstrahlen wie Nürnberg, Hannover, Hamburg oder Köln, deren Teams sich zuletzt zu sogenannten Top-Spielen auf dem Betzenberg einfanden. Doch in ihrer gegenwärtigen Verfassung sind die jungen Störche vielleicht sogar der schwerste Gegner, dem sich die Lautrer im bisherigen Saisonverlauf stellen mussten. Technisch stark, taktisch flexibel und nach dem Sieg über den HSV mental obenauf. Und Lautern? Ob sich Ragnar Ache zurückmeldet oder Afeez Aremu endlich zur Verfügung steht, ist noch nicht endgültig abzusehen, nach mehrwöchigen Pausen aber zumindest für die Startelf wohl unwahrscheinlich. Dass Neuzugang Almamy Touré direkt in die Startelf rückt, wäre ebenfalls irgendwie nicht Schuster-like, Wetten würden wir darauf aber nicht abschließen. Fakt ist, dass mit dem rotgesperrten Boris Tomiak der beste Defensivspieler ein weiteres Mal fehlt. Den Roten Teufeln muss es nun endlich mal gelingen, über die volle Spielzeit so kompakt und konzentriert gegen den Ball zu agieren, wie es ihnen gegen Köln und in Wiesbaden nur streckenweise gelang, sonst nimmt der Gast auch diesmal wieder die Punkte mit. Und vorne müssen die abgezockten Terrence Boyd und Marlon Ritter der Rasselbande in der Kieler Hintermannschaft zeigen, dass sie vielleicht doch noch ein wenig grün ist hinter den Ohren. Auch wenn es zuletzt nicht so aussah.

Quelle: Der Betze brennt

Weitere Links zum Thema:

- Sonntag, 13:30 Uhr: Rote Teufel empfangen die Störche (Der Betze brennt)

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