Reportage: Fangesänge im Fußballstadion

Mit Feldgeschrey nach Wembley

Mit Feldgeschrey nach Wembley


Beim Besuch eines Fußballspiels im Fritz-Walter-Stadion dürfen einige Dinge nicht fehlen: Die Bratwurst oder Frikadelle vorher - manche schwören sogar auf Fisch - das Pilgern auf den „heiligen Berg“, das Treffen vieler Freunde und Bekanntschaften, das Bier, der Wein oder die Cola, um die Kehlen zu ölen... und vor allem Fangesänge! Jeder kennt sie, fast alle singen sie, aber kaum einer kennt ihren Ursprung.

Mit der Geschichte des wohl bekanntesten Fußballsongs kann man ganze Bücher füllen und sie wurde auch schon sehr oft erzählt. Abgeleitet aus dem Bühnenstück „Liliom“ des ungarischen Dramatikers Ferenc Molnar entstand 1945 das Musical „Carousel“, welches am 19. April am New Yorker Broadway uraufgeführt wurde. Das dramatische Finale dieses Stücks bildet „You'll never walk alone“. In diesem Jahr war das Lied auch zum ersten Mal in den Charts, gesungen von Frank Sinatra. Weltberühmt wurde das Lied aber erst im Jahre 1963, in dem es auch seinen Siegeszug durch die Fußballstadien der Welt startete. Die Version von „Gerry and the Pacemakers“ landete auf Platz 1 der Billboard-Charts und wurde im Zuge des Stadionprogramms eingespielt, denn der FC Liverpool spielte damals an der Anfield Road immer nur die Top 10 ab. Als die Anlagen bei „You'll never walk alone“ ausfielen, sangen die Fans auf dem weltberühmten „Kop“ inbrünstig weiter. So erzählt es zumindest die weit verbreitetste Version zu der Geschichte dieses Liedes. Über Liverpool, wo der Slogan heute sogar das Vereinswappen ziert, startete der Song seinen Siegeszug durch die Fußballwelt.

Auch ein anderes auf dem Betzenberg oft gesungenes Lied, hat seinen Ursprung im Musical. „We love you Conrad, oh yes we do...“ aus ,,Bye Bye Birdie“, welches bei der Uraufführung 1958 noch „Let's go steady“ hieß. Doch erst nach 1964 tauchte dieses Lied im Zuge der Beatles-Mania wieder auf. Das Lied „We love the Beatles“ von ,,The Carefrees“ war allerdings erstaunlicherweise ein Flop, obwohl es als einziges Huldigungslied an die Beatles den Sprung in die Top 40 schaffte, wo es sich tatsächlich eine Woche lang hielt. Findige Liverpoolfans änderten diesen simplen Text in „We love you L-Town“ und ein neuer Stadiongesang war geboren. Vor vielen Jahren fand dieses Lied auch den Weg auf den Betzenberg und wird seitdem als „We love you K-Town, we do“ gesungen. K-Town ist der Name, den die zahlreichen Amerikaner der Stadt Kaiserslautern aus sprachlichen Gründen gaben.

In „Oh my Darling, Clementine“ singt der zurückgebliebene Liebhaber von der Minenarbeitertochter Clementine, welche als Nichtschwimmerin bei einem Badeunfall ertrinkt. Diese traditionelle Westernballade wurde schon 1884 von Percy Montrose komponiert. Die letzte Passage beschreibt bei diesem typischen Lagerfeuerlied, dass der Liebhaber sich über die verstorbene Clementine hinwegtröstet, indem er die kleine Schwester küsst und er seine Geliebte vergisst. Aus diesem Grund wird diese Passage in Gesangbüchern für Kinder oft weggelassen. Während wir es unter „Von der Elbe, bis zur Isar, immer wieder FCK“ kennen, gibt es von diesem Lied auch einige andere Versionen, welche meist lediglich regionale Unterschiede aufweisen. Die Fans von Rot-Weiß Essen singen zum Beispiel „...von der Ruhr bis an die Elbe“, während die Fans der Malocher aus Oberhausen „von der Ruhr bis an die Emscher“ singen. Wann und wie dieses Volkslied den Weg ins Stadion fand, ist nicht überliefert.

Aber nicht nur Westernlieder hielten Einzug auf den Rängen des Fritz-Walter-Stadions. Auch Seefahrerlieder, so genannte Shantys, fanden den langen Weg in die Westkurve. Der Refrain des bekanntesten deutschen Shantys hörte man leider schon länger nicht mehr auf dem Betzenberg: „Oh, Rot-Weiß Rot, wir saufen bis zum Tod, wir holen den DFB-Pokal (den U-Uefa-Cup), und wir werden Deutscher Meister!“ Das deutsche Originallied ist der „Hamborger Veermaster“ welches auf Plattdeutsch gesungen wird, jedoch einen englischen Refrain hat. Datiert wird das Lied auf 1848, etwa zwei Jahre nach dem Beginn des großen „Gold Rush“ in den USA. „Hamborger Veermaster“ ist ein sehr sozialkritischer Shanty, der die katastrophalen Umstände an Deck beschreibt. Bei dem „Hamborger Veermaster“ handelt es sich vermutlich um den Klipper „Deutschland“, welcher Auswanderer in die Vereinigten Staaten brachte. Auch hier gibt es in der Fußballversion natürlich Abwandlungen, so sangen die FCK-Fans im Sommer 1991, zwischen letztem Bundesligaspieltag und Pokalfinale, genüsslich „...wir haben den DFB-Pokal und jetzt sind wir Deutscher Meister!“

„Steht auf wenn ihr Lautrer seid!“ sowie „...und SO sieht die Hölle aus!“ geht auf das Cover des Songs „Go West“ von den Pet Shop Boys zurück. Die Melodie im Fußballstadion machten die Fans von Borussia Dortmund Mitte der 1990er Jahre bekannt, als sie bei einem Auswärtsspiel im Europacup fernsehtauglich fast nur ein Lied sangen: „Olé, hier kommt der BVB!“ Das berühmte „Steht auf...“ wurde hingegen vom Ruhrpott-Rivalen Schalke 04 perfektioniert und ist noch heute einer der Standardsongs in Fußball-Deutschland. Doch es ist durchaus amüsant, dass ausgerechnet „Go West“ den Weg in die Fankurven fand. Der Titel nimmt Bezug auf den Slogan der Manifest-Destiny-Doktrin, welche den Expansionismus der USA auf den gesamten nordamerikanischen Kontinent verfügt. „Go West, young man“ wird jedoch in diesem Titel parodiert und versteht sich eher als Verherrlichung San Franciscos, das Ziel der Schwulen-Rechts-Bewegung. Das Originallied stammt von einer anderen bekannten Band, den Village People („Y.M.C.A.“).

Die Musik der Beatles hat im Fußball ebenso ihre Spuren hinterlassen, was nicht zuletzt auf die Heimatstadt der „Fab Four“ zurückzuführen ist: Liverpool! „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“, welches der Überlieferung nach übrigens auf dem Betzenberg erfunden wurde, stammt aus der Feder Paul McCartneys, die Melodie stammt aus dem Lied „Yellow Submarine“ aus dem Jahre 1966. Von da an war es sage und schreibe 13 Wochen auf Platz 1, verkaufte sich mehr als eine Millionen Mal und sicherte den Beatles die 21. goldene Schallplatte, mit welcher sie Elvis Presley überholten. 1968 stand der Name des Liedes Pate für den Zeichentrickfilm, indem wiederum die Band eine zentrale Rolle spielte. Die Beatles werden in Liverpool noch heute verehrt, doch nicht vergöttert! Denn viele Liverpooler nehmen ihnen immer noch übel, dass sie sich bei der „erstbesten Gelegenheit nach London verpissten...“. Die Rolle der vergötterten Band in der Hafenstadt an der Mersey nehmen stattdessen ,,Gerry and the Pacemakers“ ein, welche heute noch in Liverpool leben und hin und wieder auch „You'll never walk alone“ live im Stadion zum Besten geben.

Was die Beatles für den englischsprachigen Raum sind, ist für den deutschen Raum eine bekannte Düsseldorfer Punkband, die Toten Hosen. Das berühmteste Fußballlied ist hierbei wohl die Single „Bayern“ aus dem Jahr 2000. Das relevanteste Hosen-Stück für die Fans des 1. FC Kaiserslautern ist jedoch ein ganz anderes. Wenn tausende Taschentücher gezückt werden, der Gegner schon verloren hat und verabschiedet wird, kann nur von einem Lied die Rede sein: „Schönen Gruß und auf Wiedersehen“, mit der kleinen aber feinen Textänderung „...wir wollen keine Tränen sehen“ (statt: „...wir können keine Tränen sehen“). Das 1990 geschriebene Lied tauchte schnell auch in der Westkurve auf. Als erstes und auch noch heute wird das Lied bei der Düsseldorfer EG und - regional gesehen - den Mannheimer Adlern gespielt und gesungen. Dieses Abkupfern vom Eishockey war in den 1990er Jahren üblich. Viele Lieder wurden von Besuchern beider Sportarten erstmal „angetestet“, bevor sie in das große Stadion mit übernommen wurden. In den 1980er und 1990er Jahren sind hier besonders der altehrwürdige Friedrichspark zu nennen, in dem der Mannheimer ERC spielte (heute Adler Mannheim in der Arena) und das legendäre Eisstadion an der Brehmstraße, wo die DEG beheimatet war.

Nicht nur Eishockey und Fußball haben eine gemeinsame Vergangenheit bei Fangesängen, sondern es gibt noch eine viel festere Verwurzelung: Mit der Kirche nämlich! Nicht nur, das Fußball zeitweise als Religion gilt, Rituale besitzt, Menschen Hoffnung gibt, er bedient sich auch eines der wichtigsten Elemente des instutionierten Glaubens - der Musik. Eines der wohl wichtigsten Lieder für den Fußball ist das Gospellied „When the Saints go Marching in“, welches zuerst bei den Tottenham Hotspurs aufkam („When the Spurs go Marching in“). Die Melodie stammt aus dem Gesangbuch „Spirituals Triumphant - Old and New“, das Edward Boatner Ende der 1920er Jahre veröffentlichte. Merkwürdigerweise, nimmt das Original Bezug auf die Apokalypse, den Untergang der Welt; etwas, das die meisten FCK-Fans die letzten paar Jahre nahezu jedes Wochenende erlebten. Es ist jedoch verwunderlich in wie vielen Varianten diese Melodie auf dem Betze gesungen wurde oder noch gesungen wird. Ob beim Schiedsrichtermobbing „Er hats gesehen“, „Oh hängt sie auf, die schwarze Sau“, bei „Die Nummer 1 im Land sind wir“, bei „Ihr habt bezahlt, ihr könnt jetzt gehen“ oder „Wir haben bezahlt, wir woll'n was sehen“, oder aber bei - zurzeit immer wieder gerne - „Der FCK ist wieder da“. Auch bekannt ist das Lied aus Spielen gegen die Borussia aus Dortmund: „Sie tragen schwarz, sie tragen gelb, sie sind die dümmsten Fans der Welt“.

Aber was unterscheidet diese Lieder, die allesamt ihren Ursprung nicht auf dem Betze haben, von den „Youtube-Gesängen“ der heutigen Zeit? Diese Lieder setzten sich ohne moderne Medien nach und nach durch. Sie wurden von der Kurve getragen, verbreitet und in spontanen Ergüssen immer wieder umgedichtet. Unzählige Varianten von „Schiri, wir wissen wo dein Auto steht“ kursierten auf den Rängen des Betzenbergs. Von brennend bis verschoben! Oder etwa nicht, Maurizio Gaudino? Spontane Gesänge sind keine Dinge, die vergessen sind. Fragt doch mal Nourredine Daham, was er von Boney Ms „Rivers of Babylon“ hält! Oder erinnert Euch, als die Mainzer Ampeln besungen wurden, dass sie auf Grün springen!

In den letzten Jahren waren es dann schließlich vor allem die Ultragruppen, die neues Liedgut in die deutschen Stadien trugen. Teilweise mit mehreren Strophen und mit bekannten oder auch mit selbst komponierten Melodien, mal von der ganzen Fankurve und mal nur von ein paar Dutzend „Chorknaben“ getragen. Zwar werden auch hier neue Gesänge immer wieder kopiert, dennoch muss einem um die Kreativität der deutschen Fankurven ganz offensichtlich nicht bange sein - auch wenn komplizierte Melodien und Vorsänger mit Megaphon für viele alteingesessene Fans durchaus einen Kulturschock bedeuteten.

Wir befinden uns in letzter Zeit auf einem guten Weg. In der Kurve und auf dem Spielfeld, sodass die Mutter aller FCK-Gesänge bald wieder spontan über die Lippen jedes einzelnen kommen möge, wenn unser glorreicher FCK, auf den schwindelerregenden Höhen des Hexenkessels Betzenberg die großen Bayern an die Wand schreit, so wie einst beim legendären 7:4. „Hi Ha Ho - Bayern ist K.O.!“

Aber ob lange Lieder, kleine prägnante Schlachtgesänge wie „Kaaaiiiiserslautern“ oder spontane Dichtungen es bleibt noch eine zentrale Frage: Warum werden überhaupt „Schlachtgesänge“ - oder besser gesagt „Schlachtrufe“ - angestimmt? Und vor allem, seit wann? Der Ursprung dieser Gesänge liegt schon in der Antike. Sinn dieser Rufe war es, den Kampfgeist und auch das Gemeinschaftsgefühl zu steigern, aber auch den Gegner einzuschüchtern. Beim Fußball wird von Gesängen erstmals in den 1920er Jahren im Mutterland des Fußballs berichtet. Es ist sogar überliefert, welches der erste Gesang beim Fußball überhaupt war. Es ist die christliche Hymne „Abide with me“, welche beim FA-Cup Finale 1927 abgespielt wurde und selbst vom König Georg V. euphorisch mitgesungen wurde. Dieser historische Moment war der 23. April 1927 beim Spiel Cardiff City gegen Arsenal London im Wembley-Stadion, London vor 91.206 Zuschauern.

(Der Artikel wurde verfasst vom langjährigen FCK-Supporter Kaiserslautern1900, der seit seinem Umzug ins Ruhrgebiet aktives Mitglied des Fanclubs „Kölnteufel“ ist.)

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Gastautor

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